Makulatur von Andreas Oberhofer

Abbil­dung 1

Im älteren Bestand des Stadtarchivs wer­den mehrere Frag­mente von Hand­schriften und frühen Druck­en ver­wahrt, die im Laufe ihrer “Objek­t­bi­ogra­phien” einen anderen Zweck erfüll­ten als den ursprünglichen: Sie wur­den im Spät­mit­te­lal­ter und in der frühen Neuzeit entwed­er als Ein­bände ver­wen­det oder aber in Teile zer­schnit­ten, die zur Sta­bil­isierung von Buchrück­en dienen soll­ten.

Der­ar­tige Frag­mente wer­den als Maku­latur (von mit­tel­lateinisch mac­u­latu­ra, befleck­tes, schad­haftes Stück) beze­ich­net. Die Forschung zu makulierten Blät­tern und Frag­menten von Blät­tern fördert immer wieder bedeu­tende Funde zutage. Bei den Stück­en im Bru­neck­er Stadtarchiv han­delt es sich meis­tens um schmale Streifen, die einige Schriftzeilen zeigen, aber mitunter doch auch um halbe oder ganze Blät­ter aus Hand­schriften und Druck­en unbekan­nter Herkun­ft.

Abbil­dung 2

Unter diesen Stück­en befind­et sich ein Perga­ment­bo­gen aus ein­er Hand­schrift, wohl einem Missale, das ver­mut­lich aus dem 12. Jahrhun­dert stammt und damit wohl das älteste Schrift­stück im Stadtarchiv ist (Abbil­dung 1). Dabei han­delt es sich um ein bei­d­seit­ig mit schwarz­er Tinte beschriebenes Dop­pel­blatt (mit vier Text­seit­en), die Schrift ist eine Spät­form der karolingis­chen Minuskel. Die her­vorge­hobe­nen Anfangs­buch­staben zeigen eine mit rot­er Farbe gemalte Roman­is­che Majuskel mit teils unzialen For­men (etwa beim E von Exur­gens oder beim D von D(ominu)s).

Eine Datierung­shil­fe stellen die soge­nan­nten Neu­men, Vor­läufer unseres heuti­gen Musi­knoten­sys­tems, dar. Trifft es zu, dass das Frag­ment aus der Zeit zwis­chen 1100 und 1150 stammt[1], so wurde es in ein­er Epoche geschrieben, die min­destens hun­dert Jahre vor der Grün­dung der Stadt Bru­neck liegt.

Unklar ist in diesem wie auch in allen anderen Fällen der Frag­mente im Stadtarchiv Bru­neck ihre Herkun­ft. Sie kön­nten aus dem Umfeld der Bischof­skirche und der Dom­schule in Brix­en, vom Stift Innichen, aus dem Kloster Neustift oder jen­em in Son­nen­burg her­stam­men oder aus anderen Orten importiert wor­den sein. Alle Frag­mente (mit ein­er Aus­nahme) zeigen jeden­falls Texte in lateinis­ch­er Sprache, die auf den kirch­lichen Bere­ich ver­weisen. Mehrere Stücke stam­men ursprünglich aus der­sel­ben Hand­schrift, ein­er Aus­gabe des “Liber Ordi­nar­ius Brix­i­nen­sis” aus dem 14. Jahrhun­dert, und zeigen weitest­ge­hende Übere­in­stim­mungen mit einem in der Stifts­bib­lio­thek Innichen ver­wahrten Codex (Cod. VII A 10).[2]

Neben den lateinis­chsprachi­gen Wörtern, Zeilen und Seit­en gibt ein Stück Rät­sel auf, das in tschechis­ch­er Sprache geschrieben ist.[3] Mehrere Zeilen find­en sich auf dem Ein­band eines Urbars des Ober­amtes Bru­neck von 1716, der eben­falls Teil ein­er älteren litur­gis­chen, in gotis­ch­er Minuskel geschriebe­nen Hand­schrift war und am Beginn des 18. Jahrhun­derts in Bru­neck “recycelt” wurde (Abbil­dun­gen 6, 7).

Auf welchem Weg dieses Frag­ment ins Puster­tal gekom­men sein kön­nte, bleibt vor­erst unklar.


Anmerkungen

[1] Fre­undliche Mit­teilung von Dr.in Ursu­la Stampfer.
[2] Fre­undliche Mit­teilung von Dr.in Ursu­la Stampfer. Vgl. Gion­a­ta Brusa (Hg.): Der ‘Liber ordi­nar­ius Brix­i­nen­sis’, in: Can­tus Net­work — seman­tisch erweit­erte dig­i­tale Edi­tion der Lib­ri Ordi­narii der Metro­pole Salzburg, Wien/Graz 2019 (zulet­zt verän­dert am 10.04.2020), gams.uni-graz.at/o:cantus.brixen (15.04.2024).
[3] Fre­undlich­er Hin­weis von PD Dr. Andreas Zajic, MAS, Wien.

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